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Impuls zum 14. September 2025

Zum Sonntag 'Kreuzerhöhung'

Von Klaus Hagedorn (Oldenburg), Kommission Aktive Gewaltfreiheit und pax christi Münster

Die „nackte Wahrheit“ – Wer nicht hassen will, muss leiden

Vorneweg
Das Fest Kreuzerhöhung hat seinen Ursprung im 4. Jahrhundert in der Einweihung einer Kirche über dem sog. Heiligen Grab in Jerusalem. Die Mutter des Kaisers Konstantin, Helena, war 326 nach Jerusalem gereist, um das Kreuz Jesu zu finden. Dazu veranlasste sie Grabungen. Anfang des 2. Jahrhunderts hatten die römischen Kaiser bewusst über den christlichen Gebetsstätten Tempel errichtet. Die Christen in Jerusalem wussten, dass dort, wo z.B. Kaiser Hadrian seiner Lieblingsgöttin Aphrodite (Göttin der Liebe!) einen Tempel erbaut hatte, der Ort der Hinrichtung und nicht weit davon entfernt der Ort der Grablegung Jesu war. Dort wurde nach alten Berichten das Kreuz Jesu in einer zugeschütteten Zisterne gefunden. Im Jahre 335 beim Fest der Einweihung der von Helena und Konstantin erbauten ersten Grabeskirche wurde dieser Fund zum ersten Mal gezeigt, aufgestellt (erhöht), also hochgehoben zur Verehrung. Von diesem Holz gelangten Partikel als Kreuzreliquien an viele christliche Orte und mit ihnen auch der Kult der Kreuzverehrung und das Datum dieses Festes. 

Lesung vom Tag: der Christus-Hymnus in Philipper 2,6-11
6 Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, 7 sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; 8 er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. 9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, 10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu 11 und jeder Mund bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ – zur Ehre Gottes, des Vaters.

Die „nackte Wahrheit“ des Kreuzes 
Das Kreuz ist DAS Zeichen von uns Christinnen und Christen. Es ist ein bis heute sichtbar aufgehängtes Zeichen. Allerdings scheint es: Das Zentralsymbol des Christentums will nicht mehr recht in unsere Zeit passen. Der da hängt, ist ausgezogen, seiner Kleider beraubt, ein Opfer menschlicher Gewalt – mit einem „Haupt voll Blut und Wunden“. Das Kreuz ist ein Stück unserer Realität, wenn ich mir unsere aktuelle Weltsituation vor Augen halte mit all der aktuellen Gewalt durch Krieg, Terror und Verfolgungen, mit den vielen Qualen, den sprachlos erstickten Leiden und Genoziden. Das Kreuz, das auf Golgatha in die Erde gerammt ist, steht für diese Realität. Es lässt nicht zu, „dass wir über seinem Kreuz die vielen Kreuze in der Welt übersehen, neben seiner Passion die vielen Qualen verschweigen …“, so formulierte die Würzburger Synode vor 50 Jahren in ihrem Beschluss „Unsere Hoffnung“. Kann es sein, dass wir dies heute nur noch schwer aushalten können: das Anschauen all der Häupter voll Blut und Wunden – in der Nähe und Ferne, weltweit? Ist das der Grund, warum wir – wenn überhaupt – oft vergoldete oder silberne oder bunt gestaltete Kreuze aufhängen und tragen – uns so damit schmücken?  Solch Entwürdigendes wie ein Kreuz ist nicht gerade einladend!

Das Kreuz ist keine religiöse Erfindung. Es war in römischen Zeiten die grausamste Art von Todesstrafe, denn das Sterben dauerte lange und war sehr qualvoll. Man wurde nackt an die Balken des Kreuzes geschlagen, erniedrigt, jeglicher Würde beraubt und vor allen anderen bloßgestellt. Ein gekreuzigter Mensch war ein Verbrecher. Er war ein von Gott Verfluchter (vgl. Deuteronomium 21,23). Es muss wirklich schwergefallen sein, auf das tödliche Holz zu blicken. Diejenigen, die Jesus gefolgt waren, sahen in seinem Tod am Kreuz zunächst das totale Scheitern seiner Botschaft. Für sie waren jegliche Hoffnungen gestorben. 

Der Sonntag „Kreuzerhöhung“ wirft den Blick auf genau diese Erfahrung. Sie ist die dunkelste Stunde im Leben des Jesus von Nazareth. Sie ist sein gewaltsamer Tod am Kreuz. Er hat nicht als der starke Mann von oben herab gelebt und gewirkt. Er hat verzichtet auf jede Macht. Die Mächte der Welt und ihre Praxis beeindruckten ihn wenig. Er schlug nicht zurück. Er ging nicht über Leichen. Er widerstand der Versuchung, mit Macht die Welt zu ordnen, mit Macht die sog. „klaren Verhältnisse“ zu schaffen. Sein Weg ist ein Weg der Selbsterniedrigung. Er „hielt nicht daran fest, wie Gott zu sein“ (V6). Er hat am eigenen Leib erlebt, was Angst und Schmerzen sind, was Scheitern bedeutet. Er ist nicht am Leiden von Menschen vorbeigegangen oder über ihre Wunden hinweg. Er wurde nicht getrieben von der Sorge um sich selbst, sondern „er erniedrigte sich“ (V7). Er hat sich selbst verwunden lassen. Er kämpfte nicht um sein Dasein, wo in solchen Kämpfen seit Menschengedenken bis heute die meisten Wunden gerissen werden. Menschen kämpfen sich oft nach oben und erniedrigen dabei andere. Sie säen zerstörenden Hass, um andere zum Verzicht auf Macht und Recht zu zwingen. Denn: Macht zu teilen oder sogar auf sie zu verzichten, ist im Kampf ums Dasein nicht vorgesehen. Jesus ist frei von solchen Zwängen. 

Er entscheidet sich, sein Gott-Sein nicht für sich zu behalten. Er sucht Gemeinschaft zu den Menschen, „er entäußerte sich“ (V6) „und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz“ (V8). Er hat gelitten. Er ist gekreuzigt worden, nicht weil er leiden und sterben wollte oder sein Gott Blut sehen wollte. Er litt und starb, weil die Verhältnisse in der Welt so sind, wie sie sind. Sein Kreuz offenbart, was an Hass und Gewalttätigkeit im Menschen steckt. Und es offenbart gleichzeitig die Gewaltlosigkeit Gottes. Jesus geht nicht vor den Mächtigen in die Knie, sondern er hat gekniet neben denen, die am Boden liegen. Das ist ein Gehorsam, der selber Lasten trägt, anstatt sie anderen aufzubürden. 

Jesus beantwortet also den Ausbruch von Gewalttätigkeit nicht mit gleicher Münze. Er schlägt nicht zurück. Er lässt sich ans Kreuz schlagen. Leben und Sterben Jesu sind durchzogen von einem Leiden der Liebe, das sich in seinem Widerstand gegen Unrecht, Hass und Gewalt zeigt. Das ist die Gottespassion Jesu. Ein Gott, der liebt, macht sich verwundbar, ist verletzlich. Und so mündet der Christus-Hymnus des Paulus in das Bekenntnis: „Jesus Christus ist der Herr, zur Ehre Gottes des Vaters“ (V11). Der grausame Tod am Kreuz bedeutet Erhöhung. Der Gekreuzigte wird zum Retter und Befreier – so die Entdeckung, Einsicht und Erfahrung. 

Wer nicht leiden will, muss hassen – Wer nicht hassen will, hat mit Leiden zu rechnen
Die griechische Philosophie konnte keinen Gott denken, der leidet und stirbt. Wir erfahren und denken heute: Wer nicht bereit und fähig ist zu leiden, kann nicht lieben. Das Leiden ist der Preis der Liebe. Liebende kennen das, wenn sie z.B. sich sagen: Ich mag dich leiden. 

Wer nicht leiden will, muss hassen. Dieser Satz meint nicht Leidverliebtheit. Wer sich auf das Leben wirklich einlässt, dem sind Enttäuschungen und Schmerz und Ängste nicht fremd. Die eigenen Unvollkommenheiten und Verwicklungen und die der Mitmenschen sind anzunehmen und zu tragen – manchmal leidvolle Arbeit. Wir wissen aus der Psychologie: Wer sich dem nicht aussetzt, projiziert mit der Zeit das Nicht-Angenommene und das eigene Böse in seine Gegenüber und bekämpft es dort. Er wird hart gegen sich selbst und brutal gegen andere, und er sucht den Hass – und darin für sich ein Gleichgewicht.

Wer nicht hassen will, hat mit Leiden zu rechnen. Wir können erfahren und einsehen: Es kann nur ein solidarisches Leben miteinander geben, wenn wir uns verwundbar halten und nicht dichtmachen. Und dabei bereit und offen bleiben für Versöhnung und Verständigung. Simone Weil, Jüdin, französische Philosophin und Mystikerin, hat es so auf den Punkt gebracht: „Der falsche Gott macht aus dem Leiden Gewalt. Der wahre Gott macht aus der Gewalt Leiden“, das ein Mitleiden, Compassion ist. Es gibt kein wirkliches Leben ohne Passion – im doppelten Sinne des Wortes von Leiden und Leidenschaft. „Die Liebe trägt alles.“ – „Einer trage des anderen Last.“ – Leidfrei ist das nicht zu machen.

Das Kreuz lässt mich diesen Gott der Liebe erahnen. Ich stocke und stottere immer wieder neu, wenn ich Worte zu finden habe und die Konsequenzen meiner Einsichten für mich bedenke und die nächsten Schritte – gerade mit Blick auf mein Engagement in Sachen Gerechter Frieden und Aktiver Gewaltfreiheit. Für diesen Gott der Liebe ist der Nazarener gestanden. Er hat gelitten, um den Hass aus den Angeln zu heben. Es gibt kein Leben ohne Leiden; es gibt keinen Glauben ohne Passion. Dafür steht das Kreuz – deshalb Kreuz-Erhöhung. Wer nicht hassen will, muss leiden. Von daher hat Kaiser Hadrian gar nicht so unrecht gehabt, als er vor 1.900 Jahren am Ort der Kreuzigung Jesu der „Liebe“ einen Tempel widmete. Er konnte keine Sicht entwickeln auf das, was durch den Nazarener in die Welt gekommen ist. 

Segensgebet 
Gott des Lebens: 
Segne uns – und das, was wir tun.
Behüte uns – und alle, mit denen wir leben.
Lass dein Angesicht leuchten über uns – 
und über die, für die wir verantwortlich sind.
Sei uns gnädig – und all denen, die sich feind sind. 
Erhebe dein Angesicht über uns – und unsere Geschwister in aller Welt. 
Gib uns und der ganzen Welt – deinen Frieden.